Polyneuropathie: Ursachen, Symptome, Diagnostik, Therapie & Medikamente

Polyneuropathie ist eine Schädigung bestimmter Nervenbahnen. Überwiegend sind die Arme und Hände sowie die Beine und Füße betroffen. Die Nervenleitgeschwindigkeit der geschädigten Nervenbahnen ist herabgesetzt. Sie werden unempfindlich gegenüber Reizen und können Schmerzen, die z.B. durch Druck oder Hitze ausgelöst werden, nicht mehr richtig an das Zentralnervensystem weiterleiten. Weil aber der Schmerz als Warnsignal fehlt, bleiben z.B. Druckgeschwüre an der Haut unbemerkt und damit auch unbehandelt. Weltweit haben etwa 40 von 100.000 Einwohnern eine Polyneuropathie.

Ursachen & Risikofaktoren

Zahlreiche Faktoren kommen als mögliche Ursache einer Nervenschädigung in Betracht. An erster Stelle stehen verschiedene Stoffwechselkrankheiten, allen voran der Diabetes (diabetische Polyneuropathie), aber auch Gicht oder Leber- und Nierenerkrankungen. Sehr häufig sind Polyneuropathien auch durch Alkoholmissbrauch bedingt (alkoholische Polyneuropathie). Genauso können Vergiftungen mit Chemikalien wie Arsen in Pflanzenschutzmitteln oder Blei in Farben die Nervenbahnen schädigen (umweltbedingte Polyneuropathie).

Weitere Ursachen einer Polyneuropathie können Medikamente (z.B. manche Antidepressiva oder Penicillin) und eine Fehlernährung aufgrund von Darmproblemen sein. Vor allem ein Mangel an Vitamin B scheint eine große Rolle zu spielen. Schließlich können Nerven auch im Rahmen von viralen oder bakteriellen Infektionskrankeiten beschädigt werden (z.B. bei Diphtherie, Mumps, Typhus oder Windpocken/Zoster)

INFO Alkoholische Polyneuropathie
Alkohol ist „in“ und dazu gesellschaftsfähig. Und zwar gerade in Deutschland, wo der Pro-Kopf-Verbrauch an reinem Alkohol im Jahr bei 12 bis 13 Liter liegt. Dabei konsumieren rund 10% der Bevölkerung etwa 50% der Gesamtmenge bzw. 50% der Bevölkerung trinken 94% der Gesamtmenge. Der Übergang vom „Genusstrinker“ zum Alkoholiker verläuft fließend. Ein Alkoholkonsum von 40 bis 60 g täglich kann eine Polyneuropathie oder andere alkoholbedingte Organschäden zur Folge haben.

Schäden des Nervensystems zählen neben Lebererkrankungen zu den typischen und häufigsten Folgeerscheinungen des langjährigen Alkoholmissbrauchs. Fachleute schätzen, dass 20 bis 40 % aller Alkoholiker an den Symptomen einer Polyneuropathie leiden. Für die Entstehung spielt unter anderem vor allem ein Mangel an Vitamin B eine Rolle. Durch den Alkohol wird die Aufnahme von Vitaminen im Magen-Darm-Trakt gestört und ihre Verstoffwechselung verändert. Gleichzeitig ist die Ausscheidung von Vitaminen über die Nieren vermehrtt. Menschen mit hohem Alkoholkonsum ernähren sich noch dazu oft sehr einseitig und vitaminarm.

 


INFO Umweltbedingte Polyneuropathie

Verschiedene Umweltschadstoffe. können schädlich auf die Nerven wirken. Fachleute schätzen, dass es etwa 2000 bis 3000 dieser nervenschädigenden (neurotoxischen) Substanzen gibt (z. B.: Metalle wie Blei, Arsen, Quecksilber, bestimmte Lösungs- und Holzschutzmittel, Pestizide, Polychlorierte Biphenyle (PCB), Dioxine). Im ersten Stadium der Erkrankung, äußert sich die Nervenschädigung durch eher untypischen Beschwerden wie gedrückte Stimmung und Depressionen, Antriebsstörungen, Reizbarkeit, schnelles Ermüden, Verlangsamung der Bewegung und Konzentrationsschwierigkeiten. Der Zusammenhang zu einer schadstoff-vermittelten Nervenschädigung ist deshalb zuerst meist schwer zu erkennen.
Hält der Kontakt mit den Schadstoffen weiter an, nehmen auch die Beschwerden zu. Gedächtnisstörungen und geistige Leistungseinbußen treten auf, Alltagsaktivitäten und Arbeitsleistungen sind beeinträchtigt. Hinzu kommen Sensibilitätsstörungen wie Kribbeln und Taubheitsgefühl oder Schmerzen in den Händen und Füßen. Die Erkrankung kann bis hin zum geistigen und emotionalen Verfall weiter fortschreiten.
In der Regel nehmen die Beschwerden ab, wenn der Kontakt mit den auslösenden Schadstoffen vermieden wird. Stress und Koffein können die Wirkung nervenschädigender Stoffe verstärken.

Symptome & Krankheitsbild

Meist äußert sich die Erkrankung zuerst mit Sensibilitätsstörungen an den Extremitäten, das heißt an Armen und Beinen. Zunächst schleichend, dann mehr oder weniger schnell fortschreitend entwickeln sich Symptome wie Kribbeln an Fußsohlen und Handflächen („Ameisenlaufen“) oder Taubheitsgefühle. Die Verteilung der Empfindungsstörung ist meist socken- oder handschuhartig. Es kommt schließlich zu brennenden Schmerzen und Muskelkrämpfen, Vibrationen können nicht mehr wahrgenommen werden, Reflexe wie der Achillessehnenreflex fallen aus.

Hinzu kommen vegetative Störungen wie z. B. übermäßiges oder vermindertes Schwitzen. Motorische Störungen, d. h. Störungen im Bewegungsablauf, beginnen meist mit einer Schwäche des Fußhebermuskels. Es kommt zu Muskelschwund an den Fuß- und Handmuskeln, später auch des ganzen Unterschenkels und Unterarms. Der Lage- und Bewegungssinn ist gestört, die Betroffenen stolpern beispielsweise häufig. Auffällig sind mitunter eine marmorierte, dünne Haut, Veränderungen der Fußnägel oder Wadenkrämpfe. Sogar über Potenzstörungen wird berichtet.

Die sogenannte autonome Polyneuropathie ist eine Erkrankung des (autonomen) Nervensystems, das alle inneren Organe beeinflusst und besonders häufig im Rahmen einer diabetischen Polyneuropathie auftritt. Die Nervenschädigung kann unter anderem das Herz-Kreislauf-System, das Magen-Darm-System oder die Harn- und Geschlechtsorgane betreffen. Mögliche Folgen sind Herzrhythmusstörungen oder auch ein „stummer“ Herzinfarkt (der Schmerz wird nicht weitergeleitet), ebenso Magen-Darm-Beschwerden durch eine verzögerte Magenentleerung, Harninkontinenz oder Erektionsstörungen.

Auswirkungen

Als Folge der Sensibilitätsstörungen und der nachlassenden Muskelkraft kommt es mit der Zeit zu Störungen in der Feinmotorik der Hände und zu Gehstörungen.
Besonders häufig entwickeln Diabetiker mit diabetischer Polyneuropathie Geschwüre an den Füßen („Diabetischer Fuß“) Info, die evtl. eine eine Amputation notwendig machen. Das Amputationsrisiko ist für Diabetiker etwa doppelt so hoch wie für Nicht-Diabetiker.

INFO Diabetischer Fuß
Durch die Schädigung der Nervenfasern kommt es unter anderem zu einer verminderten Schweißproduktion. Dadurch wird die Haut trocken, spröde und anfällig für Verletzungen. Außerdem sind die Füße von Diabetikern meistens schlecht durchblutet. Der „diabetische Fuß“ ist durch offene, schlecht abheilende Hautstellen, Geschwüre, Entzündungen, Infektionen oder Mumifikationen mit Schwarzfärbung des Fußes, vorwiegend an einer oder mehreren Zehen, gekennzeichnet. Die Schädigung kann auch den tieferliegenden Knochen betreffen. Dann wird eine Amputation häufig unumgänglich. Die Ursachen des diabetischen Fußes bestehen einerseits darin, dass die Sensibilität des Fußes im Rahmen der Polyneuropathie geschwächt oder aufgehoben ist und die Schmerzwahrnehmung fehlt. Andererseits werden durch die Muskelerschlaffung die Belastungspunkte am Fuß verändert.
Schätzungsweise führt die diabetische Polyneuropathie in Deutschland pro Jahr zu etwa 28.000 Amputationen im Bereich der Füße oder der Unterschenkel. Diabetiker sollten deshalb unbedingt orthopädisches Schuhwerk tragen und ihre Füße regelmäßig auf Verletzungen und Druckstellen absuchen oder untersuchen lassen.

Diagnose  & Untersuchungen

Der Arzt wird bei Verdacht auf Polyneuropathie eine Reihe von elektrophysiologischen Untersuchungen durchführen. Dabei wird die Empfindlichkeit einzelner Nervenbahnen und die Nervenleitgeschwindigkeit gemessen. Außerdem wird er versuchen, der Grunderkrankung auf die Spur zu kommen, die den Nervenschaden ausgelöst hat. Diese muss unbedingt bekannt sein und behandelt werden, wenn ein Fortschreiten der Nervenschädigung verhindert werden soll. Bei der Blutuntersuchung werden unter anderem der Blutzuckerspiegel (Diabetes?) und die Leberwerte (Alkoholismus?) gemessen.

Mit einer Urinuntersuchung können Giftstoffe im Körper nachgewiesen werden. Manchmal muss eine Nerven- oder Muskelbiopsie vorgenommen werden. Einfache Tests zur Früherkennung von Sensibilitätsstörungen sind die Vibrationsprüfung mit der kalibrierten Stimmgabel und die Überprüfung von Reflexen. Bei Diabetikern sollte der Arzt eine regelmäßige Inspektion der Füße auf Verletzungen oder Verformungen vornehmen.

Therapie

Erste Maßnahme bei der Behandlung einer Polyneuropathie ist die Behandlung der Grunderkrankung, dem Auslöser der Nervenschädigung. Bei der alkoholischen Polyneuropathie müssen die Blutzuckerwerte des Diabetikers mit Medikamenten gut eingestellt werden. Zudem brauchen Diabetikerfüße speziell angepasste Schuhe, mit denen Druckstellen vermieden werden. Bei der diabetischen Polyneuropathie müssen die Blutzuckerwerte des Diabetikers mit Medikamenten gut eingestellt werden. Bei umweltbedingter Polyneuropathie muss der Kontakt mit den Giftstoffen unterbrochen werden.

Medikamente gegen die Nervenschädigung

Alpha-Liponsäure bzw. Thioctsäure (apothekenpflichtig): Wirkt als Radikalfänger gegen aggressive, nervenschädigende Substanzen, regt das Nervenwachstum an, hat eine nervenschützende Wirkung.

Hochdosierte B-Vitamine (apothekenpflichtig): Vitaminhaltige Präparate, die Vitamin B1 (oder Benfotiamin Info), B6 und B12 enthalten. Sie fördern die Regeneration der Nerven. Täglich sollten maximal 300 mg B6 und bis zu 300 mg B1 eingenommen werden. Für B12 werden etwa 100 mg täglich empfohlen.

Zusätzlich sollten Präparate gegen die Schmerzen (Analgetika) – je nach Schmerzart und -intensität – verabreicht werden.

Außerdem sind physiotherapeutische Maßnahmen wie z. B. Krankengymnastik hilfreich, um den Einschränkungen der Beweglichkeit entgegen zu wirken.

Vorsorge

Trinken Sie Alkohol nur in Maßen. Wenn sie Diabetiker sind, kontrollieren Sie selbst Ihre Füße häufig auf Druckstellen und tragen Sie orthopädisches Schuhwerk. Vermeiden Sie – wo möglich – Umweltschadstoffe. Man kann zur Renovierung der eigenen Wohnung z. B. lösungsmittelfreie Farben und andere umweltgeprüfte Materialen verwenden.

Häufige Fragen

Ich bin Diabetiker und leide unter einer schmerzhaften Polyneuropathie. Mein Arzt hat mir ein Antidepressivum verschrieben. Weshalb erhalte ich kein richtiges Schmerzmittel?
Antidepressiva besitzen neben ihrer antidepressiven Wirkung auch eine analgetische Wirkung. Sie sind also gleichzeitig Schmerzmittel, die gut gegen Nervenschmerzen, aber auch Spannungskopfschmerz und bestimmte Formen von chronischen Rückenschmerzen wirken. Für die Schmerztherapie reichen übrigens schon niedrigere Dosierungen als zur Behandlung der Depression.

Wichtige Adressen

Gesprächskreis für Menschen mit Polyneuropathie
Heischstraße 7
24143 Kiel
Tel.: 0431/76468

Selbsthilfegruppe SHG – Polyneuropathie
Friedenstraße 4
45964 Gladbeck
Telefon/Fax: 02043/64321