„Focusing“ ist die von dem US-amerikanischen Psychologie- und Philosophieprofessor Eugene Gendlin gewählte Bezeichnung für eine besondere Art der Selbsterforschung oder des Selbsterlebens, die vor allem bei solchen KlientInnen beobachtet wurde, deren Therapien erfolgreich waren. Gendlin, ein Schüler von Carl Rogers (Begründer der klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie) entdeckte den Prozeß des Focusing in den 60er Jahren im Rahmen von Therapiestudien.
Er analysierte diesen Prozeß und zerlegte ihn in einzelne Schritte, sodaß es möglich wurde, „Focusing“ bei KlientInnen gezielt zu fördern. Gleichzeitig konnte Focusing dadurch für die Selbsthilfe und als therapeutische Methode gelehrt und erlernt werden. Focusing wird in der BRD überwiegend im Rahmen der Klientenzentrierten Psychotherapie und als Methode der Selbsthilfe angewendet.
Ziele
Entscheidungsfindung; Problemlösung; Konfliktbewältigung; Förderung der Kreativität; Selbsterfahrung; Selbsthilfe; Entspannung; Vertiefung des therapeutischen Prozesses.
Vorgehensweise
Focusing ist dafür gedacht, daß es in den verschiedensten Therapieformen und in der Selbsthilfe eingesetzt werden kann. Eine Person übernimmt die Rolle der Focusing-BegleiterIn, während die andere Person oder eine Gruppe die KlientInnen-Rolle einnimmt. Die BegleiterIn soll die Grundhaltung der klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie einnehmen (Echtheit, Wertschätzung, einfühlendes Verstehen). Focusing kann aber auch allein angewendet werden.
Der Focusing-Prozeß verläuft nach folgendem Muster:
Zuerst soll die KlientIn sich in einen Zustand der Ruhe und Offenheit für ihr inneres Erleben und ihr körperliches Empfinden versetzen (z.B. mit Hilfe von Atemübungen)
Dann wählt die KlientIn ein bestimmtes Thema oder Problem aus und richtet ihre Aufmerksamkeit auf die Empfindung in ihrem Körper, die nun zu spüren ist
Dann versucht die KlientIn, ein Wort, einen Satz, ein Bild oder auch einen Klang, eine Bewegung für diese körperliche Empfindung zu finden
Anschließend vergleicht die KlientIn das gefundene Wort oder Bild mit der Empfindung. Es können neue, passendere Worte oder Bilder gefunden werden oder die körperliche Empfindung verändert sich
Dann stellt die BegleiterIn (oder die KlientIn selbst) dieser körperlichen Empfindung Fragen und die KlientIn antwortet aus ihrem Körpergefühl heraus. Dabei soll die KlientIn körperliche Erleichterung und ein Gefühl der Befreiung erleben
Zum Abschluß versucht die KlientIn, die durch das Focusing veränderte Empfindung zu akzeptieren.
Professionelle Focusing-TherapeutInnen ergänzen das Focusing durch Klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie, durch Körperarbeit und Traumarbeit.
Theorie
Im Focusing-Prozeß wird die Ganzheit des Menschen aus Körper und Kopf betont. Durch die Förderung des Dialogs zwischen den Körpergefühlen und den dazugehörenden Gedanken oder Problembereichen soll die KlientIn die volle Bedeutung eines Problemes ganzheitlich erfassen können. Mit Hilfe der „Weisheit des Körpers“ sollen neue Möglichkeiten und Antworten gefunden werden.
Ethische Unbedenklichkeit: Ziele und Vorgehens widersprechen nicht humanen Grundsätzen. Darüber hinaus ist positiv zu vermerken, daß Focusing sich auch zur Selbsthilfe eignet.
Erprobtheit, Risiken und Wirksamkeit
Es gibt unseres Wissens keine wissenschaftlichen Untersuchungen zu Focusing. Von daher können keine zuverlässigen Aussagen über Wirksamkeit, Risiken und Gegenanzeigen gemacht werden. Das Verfahren muß daher als unerprobt und ohne Wirkungsnachweis angesehen werden.
Allerdings wurde das spontane Auftreten des Focusing-Prozesses im Rahmen von kontrollierten wissenschaftlichen Therapiestudien entdeckt und dort korrelierte es mit dem Therapieerfolg – es ist ungesichert, inwieweit diese Ergebnisse auch für den therapeutisch herbeigeführten Focusing-Prozeß gelten. Die klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie, die die Grundlage für die Focusing-Therapie darstellt, besitzt einen ausreichenden Wirksamkeitsnachweis – es ist jedoch ungesichert, ob und inwieweit diese Ergebnisse auch für das Focusing gelten. Es gibt zahlreiche subjektive Erfahrungsberichte, die die positive Wirkung von Focusing im Sinne der oben genannten Ziele belegen.
Gesamtbewertung
Ethisch vertretbar. Da das Verfahren unerprobt und ohne Wirkungsnachweis ist, sollte es von Gesunden und Personen mit Lebenskonflikten nur mit Vorsicht in Anspruch genommen werden. Personen mit psychischen Störungen von Krankheitswert sollten vorsichtshalber auf die Inanspruchnahme von Focusing verzichten.
1191 KRIZ, JÜRGEN (1985): Gesprächspsychotherapie (Rogers); München, Wien, Baltimore (Urban & Schwarzenberg); in: KRIZ, JÜRGEN (Hrsg.), Grundkonzepte der Psychotherapie, S.195-212
1197 GENDLIN, EUGENE T. (1978): Eine Theorie der Persönlichkeitsveränderung; München, Wien, Baltimore (Urban & Schwarzenberg); in: BOMMERT, HANKO – DALHOF, HANS D. (Hrsg.), Das Selbsterleben (Experiencing) in der Psychotherapie, S.1-62
1208 IBERG, JAMES R. (1987, 2. Aufl.): Focusing; München, Weiheim (Psychologie Verlags Union); in: CORSINI, RAYMOND J. (Hrsg.), Handbuch der Psychotherapie Bd. 1: A-m, S.231-258
1272 GERL, WILHELM (1989, 2. Aufl.): Klientenzentrierte Psychotherapie; München (Heyne); in: SCHWERTFEGER, BÄRBEL – KOCH, KLAUS (Hrsg.), Der Therapieführer. Die wichtigsten Formen und Methoden, S.101-108
1276 GERL, WILHELM (1989, 2. Aufl.): Focusing; München (Heyne); in: SCHWERTFEGER, BÄRBEL – KOCH, KLAUS (Hrsg.), Der Therapieführer. Die wichtigsten Formen und Methoden, S.129-136
1294 SIEMS, MARTIN (1986): Dein Körper weiß die Antwort – Reinbek bei Hamburg (Rowohlt)